über dieses buch
HIER IST ALLES ANDERS
Als mich Andreas Streicher bat, ein kurzes Statement für seine erste Monographie zu verfassen, habe ich gerne zugesagt. Ich ging davon aus, einen Beitrag zu schreiben, in welchem ich sein Werk unter dem „Mikroskop der Kunstgeschichte“ beleuchten würde. Wie ich es schon bei vielen anderen Katalogeinführungen, um die ich gebeten wurde, gemacht habe. Aber dann kam es anders.
Nachdem ich die ersten Druckfahnen erhalten hatte, war mir eines rasch klar geworden: Der Künstler hatte sich zu seinen Bildern, zu deren Entstehung und zum gedanklichen Hintergrund schon selbst intensiv zu Wort gemeldet. Alles, was ich nun schreiben würde, wären nur Wiederholungen, Redundanzen mit einer anderen Wortwahl. Aber: Da hier – in diesem Katalog – ja ohnehin alles anders ist als bei anderen, stellte sich die Frage nach dem „Warum“ dieser ungewöhnlichen Gestaltung. Und so änderte ich mein Konzept. Deshalb möchte ich Sie, die Sie diese Zeilen lesen, nun teilhaben lassen an den Gedanken von Andreas Streicher zu diesem Buch, die Sie ohne meinen Konzeptwechsel vielleicht nie erfahren hätten.
Ich hatte das Glück, ihn und seine Arbeit schon vor beinahe zwei Jahrzehnten kennenzulernen und die Entwicklungsschritte, die er seither gemacht hat, ebenso. Und ich hatte auch das Vergnügen, ihm ausführlich über die Idee zu diesem Buch zu unterhalten. Eine Idee, die sich nahtlos in seinen konzeptuellen Kunstansatz einfügt und diesen ganz logisch und natürlich erweitert.
Die Betitelung „Evolution“ seiner aktuellen Serie, bzw. Serien, die sich permanent im Wachsen befinden, erweist sich als schlüssig und stimmig. Das kann man bestätigen, wenn man sich mit seinen Arbeiten näher beschäftigt hat. Um diese Entwicklung jedoch von ihrer Komplexität her zu erfassen, hilft es, der Bedeutung des Wortes Evolution auf den Grund zu gehen.
Evolution stammt aus dem Lateinischen „evolvere“ und kann mit herausrollen, ausrollen, entwickeln übersetzt werden. Das bedeutet jedoch zugleich auch, dass sich das jeweilige Endergebnis einer Evolution auf einen anfangs bestehenden Kern beziehen muss. Einen Kern, der im Innersten der Entwicklung einen Ausgangspunkt bildet, der sich jedoch im Laufe der weiteren Entfaltung auch selbst umformen und etwas Neues bilden kann.
Andreas Streicher hat dieses Prinzip nicht nur verstanden und in seinen Serien zur Perfektion gebracht. Er hat es – so kann man es auch salopp bezeichnen – völlig inhaliert. Und zwar im evolutionären Sinn, in welchem etwas auf biologischer Basis passiert, ohne dass dies aufgrund von vorhergehenden Reflexionsanstrengungen geschehen ist. Das Verstehen, dass die eigene Kunst einer gewissen Evolution unterliegt und diese dokumentiert werden kann, von mehreren Seiten betrachtet und gedeutet, ist wesentlich für die Entwicklung der Werke von Andreas Streicher. Geboren aus der Idee, den Bomben von 9/11, denen er nur knapp entkommen war, Farbe entgegenzusetzen, gestaltete er seine Bilder serienmäßig beinahe wie aus einem logischen Zwang heraus bis zum heutigen Tag. Dabei steht fest, dass wohl mehr als nur ein Menschenleben braucht, um zu einem Endpunkt zu kommen.
Ich möchte den Erklärungen des Künstlers hier nicht vorgreifen, aber dennoch auf ein Phänomen aufmerksam machen, das einem sofort ins Auge springt, wenn man dieses Buch durchblättert. Unter vielen Bildern sind grau eingefärbte Platzhalter zu finden. Dabei handelt es sich um weitere Entwicklungsstufen, die sich aus den jeweiligen Vorgängerbildern ergeben können, die aber noch nicht in Angriff genommen wurden. Mit dieser Idee, etwas zu zeigen, was noch gar nicht existiert und dieses „Etwas“ dennoch visuell festzuhalten, legte Streicher zugleich auch eine weitere Evolution für dieses Buch fest. Aus dem Wissen, dass dieser hier vorliegende Band nur eine aktuelle Bestandsaufnahme ist, die in einigen Jahren schon ganz anders aussehen wird, entstand seine Idee, die Evolution seiner Kunst auch anhand dieses und weiter folgender Bücher sichtbar zu machen. Dass Künstlerbücher nur in einer kleinen Auflage gedruckt werden, ist bekannt. Nicht nur, weil der Absatzmarkt dafür nicht allzu groß ist. Der Gedanke, das Buch an sich als Kunstobjekt zu verstehen, ist auch nicht neu. Die Idee jedoch, einer Monographie weitere folgen zu lassen, die sich evolutionär aus der ersten entwickeln, schon.
Wer auch immer schon einmal in eine Buchproduktion eingebunden gewesen ist, weiß um die Schwierigkeit, einen Schlussstrich in der Redaktion zu setzen. Zu sagen: Jetzt ist es genug und es ist gut so, wie es ist. Immer noch möchte man gerne ein wenig ergänzen, noch etwas schreiben, das einem wichtig erscheint. Besonders ausgeprägt ist dieses Phänomen im wissenschaftlichen Bereich, der sich so rasch verändert, dass man sicher sein kann, dass sich schon wenige Wochen und Monate nach der Veröffentlichung viel neue Erkenntnis angesammelt haben wird, die klarerweise nicht berücksichtigt werden konnte. Das ist auch einer der Gründe, warum viele Dissertationen unerledigt in abertausenden Schubladen liegen. Bei der Erstellung von Kunstkatalogen jedoch ist nach einem gewissen Auswahlprozess klar, was darin Platz finden wird und was nicht. Ist dieser Schritt erst einmal getan, wird versucht, das Buch so zu konzipieren, dass es in sich eine geschlossene Einheit bildet, die eine gewisse Schaffensperiode oder auch das gesamte Oeuvre sichtbar macht.
Dieses Buch hier, in dem Sie gerade lesen, hat aber einen anderen Ansatzpunkt. Fein säuberlich nummeriert und persönlich signiert, werden es nur 150 Menschen ihr Eigen nennen dürfen. Und – sich auch darauf freuen – weitere evolutionäre Exemplare erstehen zu können. Nämlich jene Folgebände, in welchen sich nach und nach einerseits die grauen Flächen füllen werden, andererseits vielleicht noch neue hinzukommen. Solche, die sich erst aus der Beschäftigung mit den einzelnen Themenkomplexen ergeben und die gänzlich neue Entwicklungen bereitstellen werden. Die abermals logische Konsequenz bedeutet:
Nicht nur, dass eine kleine Auflage ein Buch an und für sich schon wertvoller macht als eines, das eine hohe Auflage aufweist. Andreas Streichers erste Monographie ist eingebettet in sein persönliches Kunstkonzept, ist Teil von diesem selbst und somit auch selbst ein Stück Kunst.
In diesem Sinne halten Sie hier ein Buch in Händen, in dem alles anders ist. Pantha rhei – alles fließt – wusste schon Heraklit so trefflich die Beständigkeit des lebendigen Veränderungsprozesses auf den Punkt zu bringen. Andreas Streicher schlägt mit seinen Serien und vor allem mit diesem Buch ein neues Kapitel zu diesem Thema auf. Folgen Sie ihm auf diesem Weg und lassen Sie sich überraschen, wie die weiteren Bände aussehen werden. Begleiten Sie ihn auf seinem Entwicklungsweg, der letztlich auch einer ist, der Entwicklungsschritte – welcher Art und Weise auch immer - in Ihnen selbst auslösen wird.
Dr. MICHAELA PREINER
European Cultural News